TIR-Analyse zeigt: Knapp 2000 Tierschutzstrafentscheide im Jahr 2021 – Hohe Dunkelziffer bei Unfällen mit Wildtieren vermutet
2021 wurden in der Schweiz 1923 Strafverfahren wegen Tierquälereien oder anderen Tierschutzverstössen durchgeführt. Die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat jeden einzelnen Fall in ihre Datenbank eingelesen und kritisch überprüft. Gestützt auf das Fallmaterial hat sie zudem ein ausführliches Gutachten erstellt, das zeigt, dass der Tierschutzvollzug gesamtschweizerisch in den letzten Jahren zwar professionalisiert wurde, in vielen Bereichen aber dennoch weiter Handlungsbedarf besteht.
23.11.2022
Die Analyse der kantonalen Vollzugsstrukturen und die Entscheidpraxis machen ferner deutlich, wie unterschiedlich das Niveau des Tierschutzvollzugs in den Kantonen ist. Es zeigt sich, dass jene Kantone, die spezielle Vollzugsstrukturen zur Verfolgung von Tierschutzdelikten geschaffen haben (so etwa die Kantone Aargau, Bern, St. Gallen oder Zürich), Tierschutzverstösse insgesamt konsequenter verfolgen und ihre Strafentscheide deutlich besser begründen, als dies in den anderen Kantonen in der Regel der Fall ist.
Auch in Bezug auf die von Tierschutzdelikten betroffenen Tierarten zeigt die Analyse des Fallmaterials 2021 zeigt deutliche Unterschiede. So wurde mit einem Anteil von 57.5 % die Mehrheit der Verfahren erneut wegen Tierschutzverstössen geführt, bei denen Heimtiere betroffen waren. Innerhalb der Kategorie Heimtiere ging es in den meisten Fällen um an Hunden begangene Delikte. Es ist davon auszugehen, dass die Sensibilität von Privatpersonen und Behörden gegenüber Hunden besonders gross ist und Tierschutzdelikte hier konsequenter zur Anzeige gebracht werden. Dabei dürften auch die Umstände, dass Hunde akustisch weit besser auf sich aufmerksam machen können als andere Tiere sowie dass sie im öffentlichen Raum ausgeführt werden und somit "sichtbarer" sind, eine wesentliche Rolle spielen. Hundehaltende dürften durch die Öffentlichkeit also stärker kontrolliert werden als andere Tierhaltende.
Die materielle Beurteilung von Tierschutzverstössen durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ist in vielen Bereichen noch immer mangelhaft. So schöpfen die Strafverfolgungsbehörden den gesetzlich vorgesehenen Strafrahmen noch immer bei Weitem nicht aus: 2021 wurden bei reinen Tierschutzdelikten für Übertretungen im kantonalen Median Bussen von 400 Franken ausgesprochen, obwohl das Gesetz einen Betrag von bis zu CHF 20'000 vorsieht. In Bezug auf die Sanktionierung von Vergehen ist hinsichtlich der unbedingten Geldstrafen hingegen eine deutliche Zunahme der im Median ausgesprochenen Tagessätze zu erkennen. Eine Freiheitsstrafe für ein reines Tierschutzdelikt wurde lediglich einmal verhängt.
Ferner zeigt die Auswertung des Fallmaterials, dass die Veterinärbehörden nicht selten selbst bei seit Jahren bekannten gravierenden Tierschutzverstössen entgegen ihrer Pflicht erst nach mehreren Kontrollen eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten. Oftmals sind zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tiere verstorben. Grund für das fehlende sofortige Handeln könnte einerseits ein Ressourcenmangel bei den Veterinärbehörden sein, anderseits aber vor allem auch die Hoffnung, die (vermeintlich geringfügigen) Mängel würden innert einer angesetzten Frist behoben. Diese Praxis ist aus rechtlicher wie auch aus Tierschutzsicht scharf zu kritisieren.
Die aktuelle Statistik über die in der Schweiz ergangenen Tierschutzstrafentscheide und das darauf beruhende Gutachten der TIR zeigen, dass im Tierschutzstrafvollzug noch immer erheblicher Handlungsbedarf besteht. In einem Forderungskatalog listet die TIR die sechs wichtigsten Postulate für eine wirksame Strafpraxis im Tierschutzrecht auf. Zudem reicht die TIR im Sinne ihres Auftrages als Expertin für tierschutzrechtliche Fragestellungen selbständig Strafanzeigen ein, wenn Missstände von den zuständigen Behörden nicht angezeigt werden.
Die vollständige Analyse der Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2021 finden Sie hier.
Online-Berichte
- Jungfrau Zeitung vom 4.12.2022: Wildtier-Unfälle werden kaum strafrechtlich verfolgt
- BauernZeitung vom 25.11.2022: "Hohe Dunkelziffer bei unterlassenen Meldungen von Wildtierunfällen"
- Lifestyle Blog von Daphne Chaimovitz vom 24.11.2022: Medienkonferenz Stiftung für das Tier im Recht
- Radio RaBe vom 23.11.2022: Schweizer Behörden und das Tierschutzgesetz
- Top Online vom 23.11.2022: Zu geringe Strafen für Tierquälerei
- bote.ch vom 23.11.2022: Tierschutzdelikte nehmen minimal ab - diese Tiere sind am häufigsten betroffen
- Tagblatt vom 23.11.2022: Tierschutzdelikte - Diese Tiere sind am häufigsten betroffen
- tio.ch vom 23.11.2022: Gli incidenti con gli animali selvatici vengono sanzionati raramente
- bz basel vom 23.11.2022: Tierschutzdelikte - Diese Tiere sind am häufigsten betroffen
- Argovia Today vom 23.11.2022: Tierschutz-Verstösse von Hundehaltern werden im Aargau auffallend häufig bestraft
- Tierwelt vom 23.11.2022: Nicht gemeldete Wildtier-Unfälle haben kaum strafrechtliche Folgen
- Luzerner Zeitung vom 23.11.2022: Tierschutzdelikte - Diese Tiere sind am häufigsten betroffen
- Volksblatt.li vom 23.11.2022: Wildtier-Unfälle werden in der Schweiz kaum strafrechtlich verfolgt