Tages-Anzeiger vom 12.6.2003: Tiere sind keine Sachen
Seit dem 1. April 2003 sind Tiere rechtlich gesehen keine Sachen mehr. Was ändert sich damit für uns Menschen?
Von Gabriela Baumgartner
12.06.2003
Felix hatte Glück im Unglück: Nach dem Zusammenstoss mit einem Auto wurde der Kater schwer verletzt ins Zürcher Tierspital eingeliefert. Die Ärzte stellten eine Lungenblutung fest, zwei Unterschenkelbrüche, verschobene Lenden- und Kreuzwirbel, einen Beckenbruch samt Blasenlähmung und verschiedene Hautschürfungen. Nur eine aufwändige Behandlung konnte Felix retten. Weil der 5-jährige Kater jedoch durch den Unfall einen Schock erlitten hatte, musse er vor der Operation in einem Sauerstoffkäfig noch zwei Tage lang stabilisiert werden.
Wie viel ist ein Tier wert?
Mit verschiedenen Schrauben und Platten in der Hüfte und im Oberschenkel und mit einem Gips am Bein erholt sich Felix von den Folgen seines Unfalles. Für den siebentägigen Spitalaufenthalt samt dreistündiger Operation müssen die Halter von Felix tief in die Tasche greifen: 3600 Franken kostet die Behandlung ihres Lieblings.
Wäre Felix vor dem 1. April unters Auto gekommen, so hätten seine Besitzer den grössten Teil der Kosten selber tragen müssen. Weil Tiere bisher rechtlich gesehen als Sache galten, hätte sich der fehlbare Automobilist lediglich wegen Sachbeschädigung zu verantworten gehabt. Das hat sich nun gründlich geändert.
Das neue Recht berücksichtigt den so genannten Affektionswert eines Tieres: Künftig bemisst sich der Schadenersatz für die Verletzung oder Tötung eines Tieres nicht mehr lediglich nach dem Kosten für die Wiederbeschaffung, sondern richtet sich auch dem Wert, den das Tier für seine Halter hat. Weil die neue Rechtslage das emotionale Verhältnis zwischen Mensch und Tier anerkennt, können Halter für ihr getötetes Tier künftig sogar eine Art Genugtuung, also Schmerzensgeld, verlangen. Über die Höhe solcher Ansprüche werden in den nächsten Jahren die Gerichte zu befinden haben.
Wer bekommt das Sorgerecht?
Die neue Rechtslage wirkt sich auch auf das Scheidungsrecht aus. Nicht selten entsteht bei der Trennung zweier Menschen ein erbitterter Streit ums Haustier. Im Scheidungsprozess hat künftig der Richter über die Zuteilung des Tieres zu befinden, und zwar muss er es jenem Teil zusprechen, bei dem das Tier besser aufgehoben ist. Der unterlegene Partner kann allerdings verlangen, dass ihm im Scheidungsurteil ein regelmässiges Besuchsrecht eingeräumt wird. Neu können trennungswillige Paare bereits im Eheschutzverfahren die Zuteilung des Haustieres verlangen. Das ist aber nur dann möglich, wenn das Tier zur ehelichen Errungenschaft zählt, die Ehegatten also gemeinsam Eigentümer sind. Kaufte die Ehefrau ihren Hund aus ihrem Einkommen, so fällt er in die Errungenschaft. Anders, wenn sie ihn geschenkt bekam: Dann fällt der Hund nicht in die Errungenschaft, und die Frau behält ihn im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Schafft sich ein Konkubinatspaar ein Tier gemeinsam an, so muss künftig wohl auch der Richter nach den Regeln über die Auflösung der einfachen Gesellschaft über die Zuweisung entscheiden, wenn sich das Paar bei der Trennung nicht einig wird.
Keine englischen Verhältnisse
In London erbte vor wenigen Wochen Kater Tinker nach dem Tod seiner Halterin ein ansehnliches Vermögen. Die kinderlose Frau hatte ihrem Büsi testamentarisch Haus und Geldanlagen im Gesamtwert von rund einer Million Franken hinterlassen.
Auch nach der neuen Gesetzeslage sind Tiere in der Schweiz weiterhin nicht rechtsfähig, können durch ihre Handlungen also weder Rechte noch Pflichten begründen. Aus diesem Grunde sind Tiere auch künftig nicht erbfähig. Trotzdem bringt das neue Recht auch im Erbrecht eine Verbesserung für die Tiere. Testamentarische Zuwendungen an Tiere wurden bisher nämlich als unsinnig betrachtet oder konnten von den Erben angefochten werden. Nach dem neuen Recht gelten testamentarische Zuwendungen an Tiere als Auflagen. Hat der Erblasser seiner Katze also testamentarisch einen Betrag hinterlassen, so haben die Erben im Sinne einer Auflage angemessen und tiergerecht für das Tier zu sorgen, es aufzunehmen oder ihm verantwortungsvoll einen geeigneten Platz zu suchen. Wer sich nicht sicher ist, ob die Erben diesem Wunsch auch wirklich vollumfänglich nachkommen, kann zu Lebzeiten mit einem Tierheim eine Vereinbarung schliessen und zu diesem Zweck im Testament ein Vermächtnis ausrichten.
«Adoption» wird einfacher
Wer einen beliebigen Gegenstand verliert, kann ihn während fünf Jahren vom Finder zurückverlangen. Diese Regelung aus dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch galt bisher aus bei entlaufenen Tieren.
Unter der neuen Rechtsordnung wird der Finder eines Tieres bereits nach zwei Monaten sein Eigentümer. Nach Ablauf dieser Frist kann der ehemalige Halter sein Tier nicht mehr zurückverlangen. Allerdings muss der Finder ein ihm zugelaufenes Tier unverzüglich bei der kantonalen Meldestelle anzeigen. Jeder Kanton ist verpflichtet, bis zum 31. März 2004 eine solche Meldestelle einzurichten, welche Fund- und Verlustanzeigen sammelt und verarbeitet. So soll der ursprüngliche Besitzer eines Tieres gefunden werden, bevor das Eigentum am Tier auf den Finder übergeht. Änderungen gibt es schliesslich auch im Bereich der Schuldbetreibung: Haus- und Heimtiere, die nicht zu reinen Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, sind in der Zwangsvollstreckung nicht mehr pfändbar. Und auch das so genannte Retentionsrecht gilt nicht mehr uneingeschränkt: Grundsätzlich darf eine Gläubigerin eine in ihrem Besitz befindliche Sache des Schuldners zurückbehalten, bis dieser seine offenen Schulden bezahlt hat. Tiere dürfen unter dem neuen Recht nur dann zur Sicherung einer Forderung zurückbehalten werden, wenn sie pfändbar sind. Das trifft auf Haus- und Heimtieren aber gerade nicht zu.
Buchtipp: «Das Tier im Recht» von Antoine F. Goetschel und Gieri Bolliger erläutert die neue Rechtsstellung der Tiere und richtet sich an Tierhalter, Behörden, Hausverwaltungen, Juristen und auch an interessierte Laien. Das Buch ist für 49 Franken ab Oktober im Orell-Füssli-Verlag erhältlich (ISBN 3-280-07040-6).
Artikel 2 - Gibt es ein Recht auf Haustierhaltung?
Sind sie nun erlaubt oder nicht? Haustiere in Mietwohnungen geben immer wieder Anlass zu Auseinandersetzungen.
Julia wünscht sich sehnlichst eine Katze. Das fünfjährige Mädchen hat ihr Lieblingstier schon dem Weihnachtsmann und dem Osterhasen auf die Wunschliste gezeichnet. Aber geklappt hats bisher noch nicht. Der Grund: Julia wohnt mit ihren Eltern in einer Mietwohnung, und die Hausordnung verbietet den Mieterinnen und Mietern das Halten von Haustieren.
Tiere sind nicht gleich Haustiere
«Darf uns die Vermieterin eigentlich verbieten, ein Tier zu halten», will nun Julias Mutter wissen. «Schliesslich würden wir ja für einen allfälligen Schaden aufkommen.» Grundsätzlich ist die Vermieterin im Recht. Zum normalen Gebrauch einer Wohnung gehört zwar grundsätzlich auch das Recht, ein Tiere zu halten. Dennoch darf die Vermieterin die Tierhaltung verbieten. Allerdings gilt ein Verbot nicht für alle Tierarten und nur unter bestimmten Voraussetzungen:
Ist gemäss Mietvertrag oder Hausordnung das Halten von Haustieren generell verboten, so dürfen Mieterinnen und Mieter dennoch Kleintiere wie Meerschweinchen, Hamster, Wellensittiche, Rennmäuse oder Zwergkaninchen halten. Die Tiere dürfen allerdings zu keinen Klagen Anlass geben. Aquarien sind ebenfalls erlaubt, sofern dafür kein Umbau der Wohnung nötig wird (denn baulichen Veränderungen müsste die Vermieterin zustimmen).
Haustiere dürfen nicht stören
Manche Mietverträge sehen für die Haustierhaltung eine generelle Bewilligungspflicht vor. Auch in diesem Fall sind Kleintiere in Käfigen, Terrarien oder Aquarien ohne ausdrückliche Bewilligung erlaubt. Gefährliche Tiere wie Schlangen oder Nutztiere wie Hühner, Gänse oder Schafe dagegen sind in jedem Fall bewilligungspflichtig.
Die Vermieterin darf eine Bewilligung um gewöhnliche Haustierhaltung nicht ohne sachlichen Grund verweigern. Als solcher Grund kommt eine Allergie einer anderen Partei in Frage oder wertvolle Möbel oder Teppiche in einer möblierten Wohnung. Eine einmal erteilte Bewilligung darf darüber hinaus nicht ohne wichtigen Grund widerrufen werden.
Stört ein Haustier die anderen Bewohnerinnen und Bewohner durch Lärm- oder Geruchsimmissionen, so muss die Vermieterin den Tierhalter vor dem Widerruf der Bewilligung schriftlich mahnen und mit dem Widerruf drohen.
Tierhalter müssen sich an die erteilte Bewilligung ihrer Vermieterin halten. Hat diese nämlich der Haltung einer Katze zugestimmt, so dürfen nicht plötzlich drei Tiere in der Wohnung ein und aus gehen. Wer sich nicht an die vertraglichen Abmachungen oder an getroffene Vereinbarungen mit der Vermieterin beherbergt, kann später eine Kündigung nicht als missbräuchlich anfechten.
Hält jedoch ein Mieter trotz ausdrücklichem Verbot, aber mit Wissen der Vermieterin seit mindestens sechs Monaten ein Haustier, so darf die Vermieterin sich nicht plötzlich auf das Verbot berufen und die sofortige Beseitigung verlangen. Das Dulden über längere Zeit gilt nämlich als stillschweigende Einwilligung in die Tierhaltung.
Wer zahlt für die Schäden?
Der Halter muss in jedem Fall für Schäden aufkommen, welche sein Tier verursacht. Wer Tiere hält, sollte unbedingt eine Privathaftpflichtversicherung abschliessen und sich dabei vergewissern, dass sämtliche möglichen Schäden (auch Wasserschäden) auch wirklich gedeckt sind. Wichtig: Viele Versicherungen sehen in ihren Policen Gründe vor, aus welchen Leistungen gekürzt werden dürfen. Haustiere sind für viele Menschen treue Partner. Wegen nicht artgerechter Haltung müssen jedoch unzählige Tiere aller Gattungen ein erbärmliches Dasein fristen. Die Tierliebe gebietet es jedem Besitzer, sich nicht nur um die juristischen Belange der Tierhaltung zu kümmern, sondern vor allem darum, dass sich das Tier in seiner neuen Umgebung auch wohl fühlt. (geb)